Der zweite Teil einer spannenden Fortsetzungsgeschichte – Von Karla Böke (6.3)

Vor fünf Jahren hatte sich viel in ihrem Leben verändert: Ihr Vater hatte sie ein Jahr zuvor verlassen. Eine kurze Zeit gab es dann nur ihren großen Bruder Felix, sie und ihre Mutter Franziska, bis sie dann mit Carolin zusammen kam. Die hatte auch eine 1-jährige Tochter, Lilly, die jetzt schon 6 ist. Felix ist bereits schon 21 Jahre alt und kurz nach seinem Abschluss nach Mexico für Ausgrabungen geflogen. Er wollte Archäologe werden, doch dann ist er mit seinem Suchtrupp verschollen. Die Polizei sucht schon seit zwei Jahren nach ihm und gibt langsam ihre Hoffnung auf. Sophie vermisst ihren Bruder schrecklich, er hat sie getröstet, als ihr Vater sie verlassen hatte und war immer für sie da gewesen. So lebt Sophie jetzt mit einer kleinen Schwester und zwei Müttern. Am Anfang fand sie die Situation ja gewöhnungsbedürftig, aber die Freundin ihrer Mutter war sehr nett und mit ihrer „Stiefschwester“ kam sie auch fast immer klar. Sophie beschließt sich etwas Musik anzumachen, um auf andere Gedanken zu kommen und nach nicht so langer Zeit schlief sie dann auch wieder ein.

Sophie wacht auf. Ein Lichtschein strahlt in ihr Augen. Momentan ist es halb neun, aber sie ist immer noch müde. Trotzdem steht sie auf und geht zu ihrem Kleiderschrank, überlegt eine Weile, aber zieht dann einfach ihre Lieblingsshorts und ihr gestreiftes Top an. Es ist der zweite Tag der Sommerferien und danach wird sie in die achte Klasse kommen. Auf dem Weg zum Bad hört sie niemanden. Carolin bringt wohl gerade Lilly zum Kindergarten und fährt danach in die Kanzlei. Sie ist Anwältin und hat nicht so lange Ferien. Ihre Mutter hingegen liegt bestimmt noch im Bett, also schleicht sie leise zur Küche und steckt zwei Brot in den Toaster. Während sie wartet, holt sie sich den Honig und die Butter. Dann klopft sie an der Tür ihrer Mutter und bringt ihr Toast und einen Orangensaft und setzt sich neben sie ins Bett. „Guten Morgen, mein Schatz. Das sieht aber lecker aus. Ist irgendwas?“ Sophie guckt auf das Tablett und ist so in Gedanken vertieft wegen ihres Traumes, dass sie die Frage ihrer Mutter nicht hört.

„Sophie?“ Ihre Mutter schaute sie fragend an und reißt sie aus ihren Gedanken. „Was?“ Sie guckt hoch zu ihrer Mutter.

„Ich habe gefragt, ob alles gut ist?“ Ihre Mutter guckt noch besorgter.

Sophie weiß nicht, ob sie ihr von ihrem Traum erzählen soll, und antwortet nur mit einem: „Jaja.“

Nach dem Essen geht sie in ihr Zimmer und will sich mit ihrer Freundin Clara und mit ihrem Freund Luc besprechen. Die beiden kennt sie schon aus dem Sandkasten und sie hat ihnen bisher immer alles erzählt. Sophie nimmt sich ihr Telefon und sucht nach Claras Nummer, wählt und wartet.

Düüüüt — düüüüt — düüüüt.

Nach weniger als zwei Sekunden nimmt sie ab: „Hey Sophie, was gibt’s?“

„Hi!“, sagt Sophie leicht nervös, „Ich muss dir etwas Dringendes erzählen.“

„Dann schieß mal los! Ich habe nicht so viel Zeit. Wir feiern gleich mit der ganzen Familie den Abschluss meiner Schwester und gehen frühstücken. Wo du schonmal dran bist … ich wollte dich fragen, was ich anziehen soll. Vielleicht ein Kleid? Oder einen Rock? Oder doch lieber nur eine Hose? Ach, ich kann mich einfach nicht entscheiden.“ Clara macht eine erwartungsvolle Pause. „Sophie? Sophie?“

„Ja, ähm … ich würde einen Rock anziehen.“

„Okay, ist alles gut bei dir?“

„Klar, alles super.“

Was war denn heute bloß mit ihr los? Wieso nimmt dieser Traum sie so mit? Es war nur ein Traum, ein ganz normaler Albtraum.

„Gut, ich muss jetzt auch los. Wollen wir uns dann vielleicht morgen im Azzurro treffen?“

 Das Azzurro ist das Lieblingscafé von den dreien. Sie treffen sich immer da und sind schon fast Stammkunden dort.

„Ja klingt gut. Vielleicht um 14:00 Uhr?“

„Okay, dann bist morgen.“

„Ja, bis morgen.“

Sophie legt auf. Clara hatte manchmal einfach Redeanfälle. Sie laberte und laberte und man hatte keine Chance sie zu stoppen. Das wusste Sophie schon zu gut und vielleicht ist es auch besser, wenn sie ihr das alles persönlich und nicht über das Handy erzählt. Aber wie klingt denn das: Sie hatte einen Traum von einem weißen Schatten, den sie dann in echt aus ihrem Balkonfenster sah. Jetzt hat sie aber panische Angst und weiß nicht mehr, was sie machen soll. Wenn sie nach der Story Glück hat, ruft Clara nicht sofort in der Psychiatrie an, sondern versucht sie erstmal zu verstehen.

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